Monday, May 19, 2014

Türkei: Kohlebergwerk Soma

Während das Foto von Yusuf Yerkel, einem Berater von Ministerpräsident Erdogan, durch die Welt gegangen ist, wie er einen am Boden liegenden Demonstranten trat, sind andere Meldungen, die weniger fotogen sind, noch nicht an die hiesige Öffentlichkeit gelangt. Wobei wir nicht verheimlichen wollen, dass diverse Funktionäre der türkischen Regierungspartei AKP den studierten Yusuf Yerkel, der sogar angefangen hatte, in England seine Doktorarbeit zu schreiben, in Schutz genommen haben. So hieß es rasch, er habe sich nur verteidigt, ein anderer wies darauf hin, dass der am Boden liegende Mann ein Provokatör der TGB gewesen sei (einer Organisation, die Atatürks Ideologie vertritt), und dann ist es wohl in Ordnung, wenn man einen Festgenommenen vor den Augen der Beamten tritt. Die Tritte waren so heftig, dass Yusuf Yerkel für sieben Tage krank geschrieben wurde!


787 Arbeiter in der Grube

Wie der ehemalige AKP-Minister Ertugrul Günay öffentlich machte, waren am Tag des Unglücks 787 Arbeiter in der Kohlegrube in Soma. Er forderte die Regierung auf, die Liste mit den 787 öffentlich zu machen. Dann bestünde die Möglichkeit, zu überprüfen, wer am Leben ist. Davor hat die Regierung anscheinend Angst, und so erklärt der Energieminister Taner Yildiz, 302 seien umgekommen, die übrigen 485 seien gerettet worden. Die Liste veröffentlicht er nicht. Dafür hat er gewiss gute Gründe.


Kinderarbeit im Bergwerk

So ist schon jetzt bekannt geworden, dass unter den Toten mindestens ein 15-jähriger war. Ein geretteter Arbeiter, der 19 Jahre alt ist, berichtete, dass er schon seit 3 Jahren in der Kohlegrube arbeitet, also mit einem Alter von 16 angefangen hat. Es gibt zwar eine zugelassene Gewerkschaft, aber die gehört zu der Sorte, die schon mit Journalisten schimpft, wenn die mit „den ignoranten Arbeitern“ sprechen wollen statt mit ihnen, den Funktionären.


Leiharbeiter

Und diese Gewerkschaft sagt auch nichts dazu, dass neben den fest eingestellten Arbeitern „taşeron işçiler“ (Puffer-Arbeiter) eingesetzt worden. Das ist das türkische Wort für Leiharbeiter, die wie ja auch in Deutschland nicht der Firma zugerechnet werden, wo sie tatsächlich arbeiten. Und die auch deutlich weniger verdienen als ihre fest angestellten Kollegen. Laut Berichten von Arbeitern, die gerettet wurden, waren nicht nur aus den verschiedenen Bergbaurevieren der Türkei Arbeiter in der Grube, sogar Arbeiter aus Syrien waren dort tätig. Man darf annehmen, dass sie auf diversen Listen nicht auftauchen. Und falls doch, könnte man die arabischen Namen leicht von türkischen unterscheiden. Auch das ein guter Grund für den Minister, die Namen unter Verschluss zu halten.


Einbetonieren und zumauern

Zur Brandbekämpfung, wie die türkischen Behörden sagen, wurde in die Grube in zwei Galerien mit Asche vermischtes Wasser gepumpt. Wenn das aushärtet, soll das betonartig werden. Was nicht die Behörden, aber Arbeiter sagen, ist, dass auch in den besagten zwei Galerien Menschen arbeiteten. Wenn sie nicht erstickt oder verbrannt sind, dann wurden sie möglicherweise zubetoniert. Kein Wunder, dass die türkische Regierung die Rettungsarbeiten für beendet erklärt. Und die Eingänge werden zugemauert, damit von außen keiner mehr rein kann. Sollen dereinst erst die Archäologen das Verbrechen aufklären?


Von Ex-Schutz-Trafos und Profit

Eine der frühen Versionen des Grubenunglücks war, dass ein Trafo einen Brand ausgelöst habe. Die Trafos in der Grube sollen übrigens in der Türkei hergestellt worden sein. Dazu meinte ein türkischer Spezialist aus der Branche, dass Trafos mit Explosionsschutz, wie es für solche Bereiche Pflicht wäre, in der Türkei nicht hergestellt werden. Sie müssten aus dem Ausland importiert werden und seien entsprechend teuer. Nur im Ausland gebe es aber auch Testlabors, die solche Trafos in einer brennbaren Gasatmosphäre auf ihre Sicherheit testen. Vermutlich hat der Betreiber der Kohlegrube hier gespart. Er hat sich früher immerhin damit gerühmt, dass er die Kohle zu einem Preis von 130 Dollar die Tonne an die Staatliche Firma für Kohleförderung (Türkiye Kömür İşletmeleri Kurumu) verkauft hat, während er ca. 24 Dollar Förderungskosten hatte. Bei so einer Gewinnspanne fiel natürlich auch was für die Regierungspartei ab…


Trafo oder Brand?

Es wird aber immer deutlicher, dass die Geschichte mit dem Trafo wohl dazu diente, die Verantwortung für das Unglück auf einen technischen Fehler abzuwälzen, wir kennen das ja von der Deutschen Bahn (Gleisvorfeld Hauptbahnhof Stuttgart, da wurden die Puffer für die Entgleisungen verantwortlich gemacht, nicht die rücksichtslose Sparpolitik der Bahn in Sachen Sicherheit). Denn Arbeiter berichteten, dass in dem großen Bergwerk (es sind etwa 10 Kilometer unter Tage!) vor Wochen ein Brand ausgebrochen ist, was viele Arbeiter aber nicht wussten. Vermutlich hat der Schwelbrand oder dabei entstandene brennbare Gase das Unglück ausgelöst.


Unternehmer als Bauernopfer für Erdogan?

Während die türkische Regierung am Anfang vehement den Grubenbetreiber verteidigte und die Firma als ein Musterunternehmen pries, die erst im März dieses Jahres erfolgreich aus einer Kontrolle hervorgegangen sei, scheint sie jetzt von ihrem Gönner abzurücken. Immerhin will Ministerpräsident Erdogan am 10. August 2014 zu den Präsidentschaftswahlen kandidieren, und da könnte eine zu enge Verbändelung mit dem Betreiber des Bergwerks für einen Wahlsieg abträglich sein. Und so beginnt allmählich, die staatliche Maschinerie auch gegen den Unternehmer und seine Ingenieure in Gang zu kommen. Sogar der Sohn des Unternehmers soll jetzt festgenommen worden sein. Ein AKP-Abgeordneter kritisierte, dass man so lange mit Verhaftungen gewartet habe, bei einem tödlichen Autounfall werde der Verursacher sofort von der Polizei verhaftet, und hier seien 300 Menschen ums Leben gekommen. Auch ist interessant, wie Energieminister Taner Yildiz die Wende einleitet. So hat er sich bei Beileidsbesuchen in den Dörfern um Soma nicht nur Kritik über die leeren Versprechen der Politiker anhören müssen, man werde künftig alles besser machen. Ein Arbeiter sagte ihm direkt ins Gesicht, dass in den letzten Wochen die Kohle heiß aus der Grube kam. Der Minister wurde hellhörig und meinte, das müsse man weiterleiten. Das klänge glaubwürdig, wenn es ein x-beliebiger Mensch wäre. Aber davon, dass Arbeiter von einem längeren Brand in der Grube berichteten, konnte er genauso wie wir aus türkischen Medien erfahren, zumal Minister ja auch ihren Beraterstab haben. Wahrscheinlicher ist es, dass Taner Yildiz den Vorwurf geschickt genutzt hat, den Überraschten zu mimen und damit für Erdogan einen Ausweg zu eröffnen, jetzt gegen den Firmenbetreiber vorzugehen.


In Deutschland kann das nicht passieren…

Das kann man öfter hören, und wenn man es auf Kohlegruben bezieht, stimmt das sicher, da diese ohnehin eine um die andere geschlossen wurden. Wer aber meint, hier mit dem Finger auf die Türkei zeigen zu müssen, sollte sich vorsehen. Was deutsche Minister und für die Sicherheit zuständigen Behörden in Zusammenhang mit dem Bahnhof S21 leisten und wie sie die Öffentlichkeit mit falschen Zahlen füttern, beweist, dass es hierzulande nicht viel besser aussieht. Auch hier gibt es genügend Zeitungen und andere Medien, die das wiederkäuen und nicht weiterforschen.


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