Monday, September 8, 2014

Hassan Rouhani in der Höhle des Löwen

Am Sonntag, den 07. September 2014, sprach der iranische Präsident Hassan Rouhani in Maschhad, einem religiösen Zentrum des Irans.

Die Nachrichtenagentur IRNA berichtete, was er dort vor ausgewähltem Publikum – Studenten, Dozenten, Schriftstellern und anderen Vertretern intellektueller Berufe – äußerte.

So manches mag unsereins sehr pauschal und wenig konkret vorkommen, aber wer in der iranischen Gesellschaft lebt und die Gegenseite täglich in Wort und Bild vorgeführt bekommt, spürt den Kontrast.


Kampf gegen die Korruption

Gegen die Korruption wollte auch schon Ahmadineschad kämpfen. Man erinnert sich an seine Ausfälle gegen Rafsandschani, der zu den Reichen des Landes gehört. Nun zu den Worten von Hassan Rouhani:

„Die elfte Regierung (AdÜ: also seine Regierung) wird sich vor niemandem und vor keiner Macht fürchten, wenn es um die Bekämpfung der Korruption und den Fortschritt des Landes geht.“ (AdÜ: seine Gegner verstehen, wer mit keiner Macht gemeint ist, und die Zuhörer auch: zum Beispiel die Pasdaran, oder die Leute um Modschtaba Chamene‘i, den Sohn des Religiösen Führers)

Rouhani fuhr fort: „Mit Einheit, Disziplin, Beharrlichkeit und Eifer werden wir die Schwierigkeiten überwinden, und zur Lösung der Probleme dieses Landes, einschließlich der Korruption, gibt es keinen besseren Schlüssel als Wissenschaft und Technik.“

(AdÜ: eine Breitseite gegen die Ajatollahs und ihr Fußvolk, und das an dem Ort, wo das Grab des achten Imams, von Imam Resa, liegt. Die Zuhörenden haben den Kontrast im Ohr. Denn bei der Geistlichkeit ist die Lösung von allen Problemen der Koran. Gehet hin und betet, kommt auch den Konsumenten von Bibelpredigern vertraut vor. Kein Wunder, dass eben diese Geistlichkeit sich jetzt anschickt, Hassan Rouhani als Ketzer zu verteufeln).


Gute Noten mit Vitamin B

Angesichts des anwesenden Publikums geht Rouhani ausführlicher auf die Korruption im Hochschulwesen ein. Auch im Iran gehöre es zum guten Ton für solche, die an der Hochschule Karriere machen wollen, durch eine beeindruckende Liste von Publikationen zu brillieren, wie Rouhani nicht ohne Ironie anmerkt. Aber das ist nicht das Ziel seiner Kritik. Er stellt die Frage, wie es sein könne, dass jemand der Professor werden will oder jemand, der Lehrer werden will, sich diese Titel mit Betrug erschleicht; und dann noch Druck auf die Regierung ausübt, wenn man ihm dabei Schwierigkeiten macht. Diese Leute sollen die nächste Generation von Schülern und Studenten ausbilden, die das Land aus der Krise retten sollen? fragt Rouhani zu Recht.


Ihr habt die Waffen, wir das Volk

Rouhani fährt fort, indem er die imaginäre Frage eines Zuhörers beantwortet, wieso die Regierung denn keine Angst habe, dass man ihre Handlungsfähigkeit blockieren könne. Er sagt, diejenigen, die drohen, wüssten nur zu gut, dass das intelligente, aufgeweckte Volk hinter der Regierung stehe, und so lange könnten sie nichts gegen die Regierung ausrichten.



Korruption beseitigt man nicht mit Parolen


Rouhani weist auch darauf hin, dass man einen durchdachten Plan zur Beseitigung der Korruption benötigt: „Korruption beseitigt man nicht mit Parolen, wenn wir nur rumschreien, ein Gericht aufstellen und ein paar Leute verhaften, ändern wir gar nichts. Die Bekämpfung der Korruption muss auf wissenschaftlicher Basis erfolgen.“


Korruption geteilt durch 30

Dann geht Rouhani dazu über, Beispiele aus der alltäglichen Lebenserfahrung der IranerInnen zu zitieren, die zwar allen vertraut sind, aber keineswegs in den staatlich kontrollierten Medien so konkret thematisiert werden. Er sagt: „Wenn ich eine Genehmigung für den Bau eines Hauses, einer Fabrik oder den Import einer Ware benötige, ist es besser, wenn ich mich nur an eine zuständige Person wenden muss und nicht an 30. Wenn ich es mit einer Person zu tun habe und – Gott verhüte es – Bestechungsgeld geben muss, dann ist es besser, es nur einmal tun zu müssen und nicht 30 mal. Dadurch wird die Korruption zumindest auf ein Dreißigstel verringert.“ Das klingt ein wenig nach Milchmädchenrechnung, aber ein aufgeblähter, schlecht bezahlter Verwaltungsapparat ist in einem korrupten System sicher auch für die Benutzer teurer als ein schlanker Apparat. Die entscheidende Frage wird freilich nicht gestellt: Wer hat die Macht, die 29 zu entlassen? Die sind schließlich mit der Hilfe von Seilschaften dorthin gekommen, und diese Seilschaften halten zusammen.


Wissenschaft als Weg in den Himmel?

Im weiteren kommt Rouhani auf das Thema der Motivation der Lernenden zu sprechen. Unter den Geistlichen ist es üblich – und da hat er Recht – zu sagen, dass das Lernen eine gute Tat ist, die einem später angerechnet wird, wenn man tot ist, sozusagen ein Guthaben fürs Paradies. Die iranische Gesellschaft scheint heute mit solchen jenseitigen Begründungen nicht mehr zu funktionieren, und so setzt Rouhani dieser Argumentation entgegen. Es gehe nicht darum, dass Lernen eine gute Tat fürs Jenseits ist, sondern darum, dass man mit dem Gelernten die Gesellschaft voranbringen kann, den Menschen in der Not Hoffnung geben kann. Das muss heute das Ziel des Lernens sein.


Absage an den Sittenterror

Ein besonders heikles Thema, das seit Jahrzehnten von den iranischen Machthabern gepflegt wird, indem sie Millionen von Frauen in ein Gefängnis aus schwarzen Tüchern stecken, spricht der Präsident ebenfalls an:

„Bringen wir den Frauen die Keuschheit mit dem Polizeiwagen bei?“

„Wir glauben, dass für die Erhöhung des gesellschaftlichen Niveaus Polizeiwagen, Sittenwächter und Soldaten vonnöten sind. Aber damit baut man keine Kultur auf.“ (Mit „wir“ meint er die Geistlichkeit, der er ja auch angehört.)

Bei diesen Worten ertönte heftiges Beifallklatschen unter den Anwesenden.


Bürgersteige mit Mauern – eine Hälfte für Männer, eine für Frauen

Hassan Rouhani zitiert dann aus seinen Erinnerungen an die Anfangszeit der Revolution (von 1979): „In einer Zeit zu Beginn der Revolution hat einer der hohen Herren (gemeint ist ein Ajatollah) gesagt, dass die Bürgersteige ein großes Problem darstellten. Ich fragte ihn: Wieso? Er sagte: Weil Mann und Frau gemeinsam auf ein und demselben Bürgersteig laufen. Die einzige Lösung ist eine Mauer, die müssen wir zwischen den beiden hochziehen. Ich meinte: Aber dann sollte die Mauer wenigstens niedrig sein, damit wir unsere eigene Familie wiederfinden. – Ist das denn die Lösung des Problems? fragt der Präsident ans Publikum gewandt.


Wir müssen die Jugend überzeugen

Bezüglich des „Sittenkampfes“ vertritt der Präsident die Position, man müsse die Jugendlichen aufklären, mit Verboten und technischen Hürden könne man heutzusage nichts mehr erreichen: „Bei Gott! In unserem Zeitalter und in unserer Welt, gibt es nur einen Weg – die Jugend zu überzeugen. Wir können hier nicht mit Gewalt auftreten und alles schließen. Das klappt nicht. Zwei Dinge haben wir immer geglaubt: Mauern und Filter – damit lösen wir alle Probleme. (Beifall) Also, Sie gehen hin und bauen Filter (ins Internet) ein – und die gehen hin und bauen Filterknacker ein. (Beifall)

Nichts wird gelöst. Denn wenn die Probleme sich damit lösen ließen, dann wären sie es schon längst.“


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