Die Ereignisse im Vorfeld der diesjährigen Präsidentschaftswahlen im Iran geben auch einen Einblick in die schiitische Wahrnehmung der Geschichte des Islams und deren Wiederkehr in neuer Gestalt.
Am Anfang war das Wort
Der Prophet Mohammad galt zuerst nur als Überträger der göttlichen Botschaft, die er in Form des Korans empfing. Mohammad war das Gefäß, in die sich das göttliche Wort – der Koran – ergoss. Als der Prophet starb, hatte er allerdings seine Nachfolge nicht geregelt. So kam es zu Streitigkeiten, wer die Nachfolge antreten sollte.
Am Anfang war das Blut
Nach schiitischer Auffassung hatten diejenigen das Recht der Nachfolge, in denen „das Blut des Propheten“ floss, also dessen Verwandte. Und so wurde die Verwandtschaft mit dem Propheten ein Mittel, als Chalif, als Nachfolger des Propheten zu aufzutreten. Nach der Ermordung des Chalifen Ali, eines Vetters des Propheten Mohammad, übernahm Muawija I. die Nachfolge und begründete die Ummajaden-Dynastie. Die Abbasiden, die nach dem Sturz der Ummajaden 750 das Chalifen-Amt übernahmen, stützen sich wieder auf das Prinzip der Abstammung zurück, nachdem einer der Vorfahren Onkel des Propheten Mohammad gewesen war.
Chalif und Sultane
Die gewaltsame Ausdehnung des Islams führte dazu, dass der amtierende Chalif auf Statthalter vor Ort angewiesen war, die Sultane. Diese leiteten ihre Legitimität davon ab, dass sie vom Chalifen eingesetzt wurden und hatten deshalb auch ein Interesse daran, den Chalifen als legitimen Nachfolger des Propheten zu stützen. In ihrem Herrschaftsbereich hatten die Sultane freie Hand, solange sie dem Chalifen den Tribut entrichteten und nicht an seiner Legitimität zweifelten.
Die Sultane bauten ihre Macht so weit auf, dass sich die Funktion des Chalifen auf die des „Stempels“ konzentrierte. Der Stempel des Chalifen war genug, um die Macht zu begründen, zu sagen hatte der Chalif ansonsten nichts mehr.
Die heutigen Chalifen
Vergleichen wir den Islam nach der Revolution von 1979 mit den Anfängen des Islams, auf den sich die Machthaber so gerne berufen, könnte man die Rolle von Ajatollah Chomeini am ehesten mit der von Mohammad vergleichen. Chomeini war nicht auf Sultane – heute würden wir Generäle sagen – angewiesen, wenn er das Volk aufrief, ging es auf die Straße. Am Anfang 90 Prozent, gegen Ende 50 – 60 Prozent der Bevölkerung folgten seinem Wort, da brauchte er keine Armee, um seine Stellung zu bewahren. Die Armee diente vor allem dem Krieg gegen die Opposition und den Irak.
Mit seinem Tod wurde das schlagartig anders.
Ajatollah Chamene‘i, der erste Chalif
Damit Chamene‘i die Nachfolge Chomeinis antreten konnte, musste Rafsandschani im Hintergrund erst einmal dafür sorgen, dass dieser den Titel des Ajatollahs bekam. Zum zweiten versuchte Rafsandschani, der damals Präsident der Islamischen Republik war, seine politische Macht auf die bewaffneten Organe, namentlich auf die Revolutionswächter, abzustützen. Da der Krieg mit dem Irak inzwischen zu Ende war – die Unterzeichnung des Waffenstillstands war einer seiner letzten Akte vor Chomeinis Tod – musste Rafsandschani die Revolutionswächter anderweitig abfinden, mit Posten in der Verwaltung und in der Wirtschaft.
Der Aufstieg des Chalifen
Mit der Machtübernahme von Chatami als Präsidenten begann der Aufstieg von Ajatollah Chamene‘i, dem Religiösen Führer. Er verdankte dieses Amt den Intrigen Rafsandschanis, der meinte, in ihm einen Mann ohne Rückhalt gefunden zu haben, den man auch leicht wieder absetzen könnte. Rafsandschani hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Den Chamene‘i nutzte die Schwäche der Regierung Chatami, den Revolutionswächtern (Pasdaran) überall einen weiten Einfluss einzuräumen und baute auch mit Hilfe der Pasdaran parallele Geheimdienste in den verschiedenen Staatsorganen auf, die Chatamis Macht untergruben.
Der Aufstieg der Sultane
Mit dem Antritt von Ahmadineschad war die Zeit der neuen Sultane gekommen, der Generäle der Pasdaran. Sie konnten nun immer größere Zweige der staatlichen Wirtschaft in ihre Hände bekommen, sie kontrollierten den Außenhandel ebenso wie den Schmuggel, sie hatten die militärische Macht, ihre Geheimdienste und lancierten ihren Mann als Präsidenten, eben Ahmadineschad.
Modschtaba Chamene‘i, der Sekretär des Chalifen
Bei den zweiten Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 war es einer Abmachung zwischen dem Sohn des Ajatollah Chamene‘i, der die Kanzlei des Religiösen Führers leitete, und den Pasdaran zu verdanken, dass nicht die abgegebenen Stimmen, sondern der Führer entschied, wer „gewählt“ wurde, nämlich wieder Ahmadineschad. Aber Ahmadineschad machte eine ähnliche Entwicklung durch wie Ajatollah Chamene‘i. Er wollte sich nicht damit abfinden, als „lahme Ente“ aus der Geschichte zu watscheln und versuchte, gegenüber dem Religiösen Führer ebenso wie gegenüber den Pasdaran auf Distanz zu gehen. Die Pasdaran bezeichnete er öffentlich als „Schmuggelbrüder“, und den Führer machte er indirekt für die katastrophale Wirtschaftslage verantwortlich.
Die Sultane haben die Führung übernommen
Das geschah nicht ungestraft. Mascha‘i, der Mann, den Ahmadineschad zum Nachfolger küren wollte, wurde vom Wächterrat als ungeeignet abgelehnt. Viel überraschender war dagegen die Ablehnung eines anderen Konkurrenten: Ajatollah Rafsandschani, der Chamene‘i überhaupt erst zur Macht verholfen hatte. Wer hätte gedacht, dass der Wächterrat diesen Mann als „nicht geeignet“ für das Amt des Präsidenten einstufen könnte.
Die zweimalige Entscheidung des Wächterrats
Der iranische Wächterrat, der sich aus 12 Personen zusammensetzt, 6 Geistlichen und 6 anderen Personen, die meistens Juristen sind, besteht zur Zeit nur aus 11 Personen, weil ein Geistlicher verstorben ist. Die Besetzung des Wächterrats erfolgt auf folgendem Weg: 6 Mitglieder ernennt der Religiöse Führer selbst, 6 Mitglieder werden vom Parlament aus einer Liste ausgewählt, die der Religiöse Führer dem Parlament vorlegt. Bei der Abstimmung über die Eignung Rafsandschanis zum Präsidentenamt haben die 11 derzeitigen Mitglieder wie folgt entschieden: 7 für die Eignung, 4 dagegen. Damit hätte die Kandidatur eigentlich durch sein müssen. Aber es kam anders. Die Pasdaran bzw. die Bassidschi hatten im Vorfeld eine Umfrage in Auftrag gegeben, aus der sich ergab, dass Rafsandschani 56 Prozent der Stimmen bekommen würde, später erhöhte sich das Ergebnis sogar auf 71 Prozent. Für die Pasdaran ein Warnsignal. Dann könnten die „Unruhestifter“ wieder die Oberhand gewinnen und es könnte Jahre dauern, bis sie die Proteste niedergeschlagen hätten.
Am Ende steht das Wort – der Generäle
So entsandten die Pasdaran den General So-l-Qadr, stellvertretender Vorsitzender des Obersten Justizrats des Landes, zu Ajatollah Chamene‘i, um ihre Bedenken deutlich zu machen. Darauf musste der Wächterrat ein zweites Mal zusammentreten. Weil Ajatollah Schahrudi deutlich machte, dass er wieder für Ajatollah Rafsandschani abstimmen würde, wurde ihm nahegelegt, an der Abstimmung nicht teilzunehmen. So geschah es auch. Die zweite Abstimmung fiel nun so aus: 6 Personen lehnten die Eignung Rafsandschanis ab, 4 stimmten weiter dafür. Das heißt, dass es 2 Umfaller gegeben hat.
Und das heißt vor allem – weder Ajatollah Chamene‘i noch der Wächterrat haben im Iran das letzte Wort, jetzt haben die Generäle die Macht übernommen.
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