Monday, April 15, 2013

Khomeini war ein Feudalherr

dschungel

»Khomeini war ein Feudalherr«


In seinem neuen Roman »Die Wüste glimmt« schildert Ali Schirasi die Verhältnisse im Iran vor der »Islamischen Revolution«. Ein Gespräch mit dem deutsch-iranischen Schriftsteller über den Unmut der Bevölkerung gegen die Herrschaft des Schahs, die enttäuschten Hoffnungen der demokratischen Opposition und die Machtübernahme des Klerus.


Interview: Carl Melchers


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Der 1940 im Iran geborene Ali Schirasi arbeitete während der Schahzeit als Lehrer und war Mitbegründer einer Lehrergewerkschaft. Wegen seiner politischen Aktivitäten wurde er mehrmals verhaftet. Auch unter Khomeini wurde er inhaftiert und im berüchtigten Evin-Gefängnis gefoltert. 1987 ­gelang ihm die Flucht aus dem Iran. Schirasi lebt heute als Schriftsteller in Deutschland.


Ihr neuer Roman »Die Wüste glimmt« erzählt vom Iran der fünfziger Jahre. Welche Rolle spielt die Zeitgeschichte für Sie?


Auf dem Land herrschte damals ein Feudalsystem, in dem die vom Grundherrn abhängige Landbevölkerung nicht einmal Bewegungsfreiheit hatte. Die Geschichte ist ebensowenig wie die Personen, die darin auftreten, eine Fiktion, sondern erlebte iranische Geschichte. Lediglich bestimmte Namen wurden geändert, die Ereignisse, die geschildert werden, haben sich aber tatsächlich zugetragen.

Khomeini wird nach seiner Rückkehr aus dem französischen Exil am 1. Februar 1979 auf dem Flughafen von Teheran von Anhängern empfangen

Khomeini wird nach seiner Rückkehr aus dem französischen Exil am 1. Februar 1979 auf dem Flughafen von Teheran von Anhängern empfangen (Foto: PA / AFP)


Können Sie den Inhalt und die Botschaft des Romans in wenigen Worten umreißen?


Einem Mann namens Gondik hat das Hochwasser die Familie geraubt. Psychisch krank, irrt er durch die Dörfer und trifft auf eine Frau, Pari, die einen schrecklichen Brand erlebt hat und ebenfalls krank von Dorf zu Dorf zieht. Mit der Unterstützung der Dorfbevölkerung schaffen sie es, festen Boden unter die Füße zu bekommen. Zusammen meistern sie ihre Schwierigkeiten und werden gar zum Vorbild für andere. Genauso ist es auch mit der Dorfbevölkerung selbst: Als die Einwohner den ersten Schritt wagen und die Fronarbeiten für den Gutsherrn verweigern, kommt eine Bewegung in Gang, die die Bauern freier macht. Die Stärke dieser Menschen liegt in der Gemeinsamkeit, sie setzt sich selbst gegen die Gendarmen und Militärs durch. Die Freiheit kostet allerdings Opfer, sie wird den Menschen nicht geschenkt.


Die Zeit, von der der Roman erzählt, haben Sie als Kind erlebt. Wie haben Sie die Zustände wahrgenommen?


Freitags mussten wir für den Grundherrn immer unbezahlte Frondienste leisten, die Bauern haben schon vor dem Aufstand gemurrt. Ich habe selbst vom Hausdach herab gesehen, wie der Grundherr Bauern an eine Platane fesselte und auspeitschte, und auch ich selbst habe seine Peitsche einmal zu spüren bekommen. Die Unzufriedenheit unter den Bauern konnte man mit Händen greifen.


Inwiefern spiegeln sich in der Geschichte die großen politischen Auseinandersetzungen im Iran jener Zeit?


Damals begannen im Iran eine Reihe politischer Ideen und Bewegungen wichtig zu werden. Dazu zählte die Forderung, das Land solle denen gehören, die es bebauen, sowie das Verlangen nach politischer Freiheit und der Gleichberechtigung der Geschlechter. Auf der einen Seite des Konflikts standen die nationale Bewegung und die Linke, die sich zu organisieren versuchte, auf der anderen Seite der Schah. Die nationale Bewegung forderte konkret die Verstaatlichung des Erdöls, das bislang von ausländischen Firmen ausgebeutet worden war. An der Spitze dieser Bewegung stand der damalige Premier­minister Mohammed Mossa­degh.


Sie haben manche Ereignisse selbst erlebt, aber nicht alle. Wessen Geschichte wird da eigentlich erzählt?


Das Buch ist nicht nur autobiographisch – es ist die kollektive Erinnerung einer Region, die der Erzähler nicht nur aus seiner eigenen Anschauung und Erinnerung wiedergibt, sondern auch auf der Basis von Gesprächen mit vielen anderen, die damals dabei waren, etwa Verwandte, aber auch andere Menschen, die in der Gegend lebten, oder ihre Kinder, die von ihren Eltern gehört hatten, was passiert war.


Welche der Protagonisten leben heute noch?


Ein paar Frauen, die im Roman vorkommen, leben noch, freilich sind sie mittlerweile hochbetagt. Einige der Kinder und Enkel der Protagonisten leben heute in den USA, in England oder in Deutschland, so auch der Sohn von Kazem. In meiner Erzählung spielt er eine wichtige Rolle als heißblütiger Revolutionär, der die Folgen seines Handelns schlecht übersehen kann. Kazem ist kürzlich gestorben.


Welche Geschichten sind autobiographisch?


Die meisten Ereignisse habe ich als Schulkind selbst miterlebt, die Begegnung mit Pari auf dem Heimweg von der Schule, die Entwicklung von Gondik, die Hochzeit. Als Schüler hatte ich damals politische Plakate von meinem Lehrer erhalten, der ebenfalls im Roman auftaucht, und sie auf den Dörfern verteilt. Zusammen mit anderen Schülern schrieb ich mit Kohle Parolen für Mossadegh an die Hauswände.


Der Roman beeindruckt auch durch seine Detailfülle.


Die vielen Details sind kein Selbstzweck, sie sind aber auch nicht nach einem festen Plan zusammengetragen, sie zeigen vielmehr, was sich dort abgespielt hat. Die Vorbereitungen der Hochzeit machen deutlich, welche Frontenbildungen auf dem Land existierten, wer mit wem aus welchen Gründen zusammengearbeitet hat. Es zeigt sich auch, wie selbst rein traditionelle Aktivitäten zu einer politischen Entwicklung führen können, weil die Menschen zusammenarbeiten. Das gemeinsame Organisieren entwickelt Fähigkeiten im Menschen, die man nicht ahnen würde.


Auch wenn all das in der Region Garmsar geschehen ist und manche Dinge charakteristisch für meine Heimatgegend sind, darf man nicht vergessen, dass sich Vergleichbares im ganzen Iran abgespielt hat.


Inwiefern hat die autoritäre »Modernisierung von oben« der Pahlavi-Dynastie dazu beigetragen, dass die Menschen Widerstand geleistet haben?


Der Iran hat eine lange Geschichte des Widerstands, die nicht erst mit der Opposition gegen das Regime der Pahlavis begann. Es war dieser Widerstand aus der Bevölkerung, der Anfang des 20. Jahrhunderts zur Revolution für eine konstitutionelle Monarchie führte und schließlich in eine bewaffnete Bewegung gegen das Schah-Regime mündete. Um zu verhindern, dass dieser Partisanenkrieg zu seinem Sturz führte, sahen sich der Schah und seine Bündnispartner – die US-Regierung unter Kennedy – gezwungen, Reformen durchzuführen. Dazu zählte auch eine Landreform, die den energischen Widerstand von Ayatollah Khomeini auslöste. Vor der Landreform des Schahs standen die einflussreichen Ayatollahs an der Spitze religiöser Stiftungen, die riesige Ländereien besaßen und mit dem Schah zusammenarbeiteten. Sowohl Ayatollah Khomeini wie auch sein Vater waren selbst Feudalherren und Großgrundbesitzer. Er war also gegen genau jene Reformen, die eine Reaktion auf den Widerstand der iranischen Bevölkerung darstellten. Das waren die Anfänge des »Revolutionärs« Khomeini.


In Ihrem Roman wahrt die schiitische Geistlichkeit deutliche Distanz zum Widerstand der Bevölkerung. Die offizielle Geschichtsdarstellung im Iran vermittelt dagegen den Eindruck, dass der damalige Widerstand von den heutigen Machthabern im Iran ausging.


Nach der Machtergreifung von Ayatollah Khomeini haben er und seine Leute versucht, die Geschichte zu fälschen und eine Reihe eigener »Märtyrer« der Revolution zu erfinden. Ayatollah Khomeini war eigentlich wegen seines Widerstands gegen die Landreform des Schahs und gegen die Durchsetzung des Wahlrechts für Frauen aus dem Iran verbannt worden und lebte zuerst in der Türkei, dann im Irak.

Inszenierung eines Diktators: Der Schah mit Familie in der Sommerfrische in Noshahr am Kaspischen Meer im Juli 1970

Inszenierung eines Diktators: Der Schah mit Familie in der Sommerfrische in Noshahr am Kaspischen Meer im Juli 1970 (Foto: PA/akg-images/Hugues Vassal)


Wieso konnte er dennoch zum »Revolutionsführer« werden?


Ungefähr ein halbes Jahr vor der iranischen Revolution kam Ayatollah Khomeini nach Paris, und ab da war er nicht mehr nur unter den Bazarhändlern, sondern auch in der breiten Bevölkerung ein Begriff. Der Grund: Die französische Regierung unter Präsident Valéry Giscard d’Estaing und die BBC und andere westliche Medien boten ihm die Möglichkeit, übers Radio die iranische Bevölkerung zu erreichen – eine Möglichkeit, die die Linke nie besaß. Diese Haltung ist vor dem Hintergrund des Kalten Krieges zu sehen. Im Februar 1979 siegte im Iran die Revolution, im Dezember 1979 marschierte die Sowjetunion in Afghanistan ein. Der Westen befürchtete, dass im Iran eine kommunistische Linke siegen könnte und unterstützte aus diesem Grund Ayatollah Khomeini. Die islamische Revolution war nicht das Ziel der Iraner, sondern des Westens.


Zur Zeit des Schahs waren auch Anhänger Khomeinis unter den politischen Gefangenen.


Ayatollah Rafsanjani – unter dem Schah war er noch ein Hodschatoleslam (ein religiöser Titel im schiitischen Islam, der in der Hierarchie unter dem Ayatollah angesiedelt ist; Anm. d. Red.) – und Ayatollah Khamenei – auch er war damals noch Hodschatoleslam – waren unter dem Schah kurze Zeit in Haft. Ich habe Rafsanjani damals selbst im Gefängnis erlebt und gemerkt, wie egoistisch und rücksichtslos er sich damals verhalten hat. Inzwischen sollen Dokumente gefunden worden sein, die belegen, dass Rafsanjani und Khamenei während ihrer Haft und danach mit dem Savak, dem Geheimdienst des Schahs, zusammengearbeitet und auch ihre Mitgefangenen verraten hätten. Die iranische Bevölkerung sagt selbst ohne die Kenntnis dieser Details, dass diese beiden keine wichtigen Figuren im Widerstand gewesen seien. Im Volk gelten sie als betrügerische Füchse.


Wurde der Schah nicht auch von Teilen des Klerus unterstützt?


Richtig. Drei weitere heute wichtige Figuren, Ayatollah Makarem Schirazi, Ayatollah Mesbah Yazdi, der ideologische Mentor von Mahmoud Ahmadinejad, und Ayatollah Tabassi, waren sogar Anhänger des Schahs und haben die Seiten gewechselt, als sie merkten, dass es mit ihm zu Ende geht.


So kommt es, dass es heute nicht nur unter den Linken, nicht nur unter der normalen Bevölkerung, sondern sogar unter den sogenannten Prinzipialisten (so nennt sich eine Gruppe der islamistischen Hardliner im Iran; Anm. d. Red.) Allgemeingut ist, dass diese Kerle nichts mit der Revolution am Hut hatten. Insofern kann man nicht behaupten, dass die staatlichen Versuche, die iranische Revolution als eigene Leistung für sich zu vereinnahmen, erfolgreich gewesen seien.


Gibt es »Gegenerzählungen« in der neuen Oppositionsbewegung, bei den Studierenden und der neuen Arbeiterbewegung?


In der breiten Bevölkerung, keineswegs nur unter den Linken oder Gewerkschaftern oder Studenten, ist bekannt, dass der bewaffnete Widerstand gegen das Schah-Regime von linken Gruppen wie den Partisanen der Volksfedayin und von den Volksmujaheddin getragen wurde.


Ayatollah Khomeini war zwar wegen seines internationalen Renommees auch im Iran ein bekannter Mann, aber in der Bevölkerung noch viel bekannter waren die Ayatollahs Taleqani, Montazeri, Motahari und Beheshti. Taleqani und Montazeri waren unter dem Schah im Gefängnis gewesen und waren die bekanntesten und angesehensten Geistlichen im Iran. Das wusste auch Ayatollah Khomeini.


Von diesen damals populären Klerikern lebt heute keiner mehr, oder?


Ayatollah Taleqani wurde vergiftet, Motahari fiel einem Terroranschlag zum Opfer, der von einer ominösen Gruppe namens Forqan verübt worden sein soll, wobei man munkelt, dass diese Gruppe auf Veranlassung von Ayatollah Khomeini zugeschlagen hat, Ayatollah Beheshti fiel ebenfalls einem Terroranschlag zum Opfer, für den das Regime die Volksmujaheddin verantwortlich machte, und Ayatollah Montazeri stand bis zum Ende seines Lebens unter Hausarrest, da er das Gefangenen-Massaker von 1987 verurteilt hatte, das aufgrund einer Fatwa von Ayatollah Khomeini verübt wurde. Dieser Widerstand gegen das Massaker war das Ende für Ayatollah Montazeri. Es ist bezeichnend, dass der Tod von Ayatollah Montazeri im Jahr 2009, dem Jahr der großen Wahlfälschung, zu einer Demonstration von Millionen von Iranern führte, die ihm das letzte Geleit gaben. Keiner der staatlichen Geistlichen könnte so viele Menschen mobilisieren.


Sie haben als Lehrer im Iran gearbeitet und eine Lehrergewerkschaft mitbegründet. Wegen Ihres politischen Engagements saßen Sie viele Jahre im Gefängnis. Welche Erfahrungen haben Ihre politische Haltung geprägt?


Als ich in die Schule ging, musste ich jeden Tag bis spät abends auf Baumwoll- und Honig­melonenfeldern arbeiten, auch an Feiertagen. Oft wurde ich bei der Arbeit ausgepeitscht, und letztlich musste ich vom Land in die Stadt fliehen. In Teheran bestand ich die Aufnahmeprüfung für ein Internat und machte später die Ausbildung zum Grundschullehrer. Meine unbestimmten Gefühle, die allgemein gegen Unterdrückung gerichtet waren, formten sich in dieser Zeit zu politischen Überzeugungen und organisiertem Handeln. Die Lehrergewerkschaft bestand aus zwei Teilen, einem hochaktiven legalen Teil, der in der Öffentlichkeit für bessere Löhne, Krankenversicherung oder erschwingliche Lehrerwohnungen eintrat, und einem Teil, der im Untergrund agierte, der das gesamte System grundlegend ändern wollte, kurz, eine Revolution anstrebte.


Was waren damals Ihre Vorstellungen und wie beurteilen Sie heute diese Ideen? Gibt es Übereinstimmungen mit dem heutigen Widerstand der Menschen in Tunesien, Ägypten, Syrien – oder im Iran?


Die Ereignisse in Tunesien oder Ägypten, die sichtbar wurden, nachdem ich mein Buch geschrieben hatte, machen deutlich, dass der Geist der Freiheit, der Wille zur Veränderung weiter lebt. Damals bewegten uns sozialistische Vorstellungen, die für uns untrennbar verbunden waren mit demokratischen und sozial gerechten Verhältnissen, der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und den Menschenrechten. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Zur Frage der Ziele der Menschen in den Ländern des arabischen Frühlings oder des Iran kann ich vielleicht so viel sagen: Ein religiöses Modell kann den Menschen nicht wirklich frei machen. Eine Alternative kann nur ein säkulares Modell sein, unter der Bedingung, dass die Menschenrechte geachtet werden. Das Thema damals wie heute ist die Befreiung der Menschen von der Unterdrückung.


Ali Schirasi: Die Wüste glimmt. Agenda-Verlag, Münster 2012, 378 Seiten, 19,80 Euro


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